Aus dem Buch "Lebendige Sprachinseln"

EISCHEME / ISSIME -

Walser Gemeinschaft im Aostatal

BESCHREIBUNG

Kommt man vom angrenzenden Piemont in das Aostatal, so treffen wir auf Issime, im Walser-Dialekt Éischeme genannt. Das Dorf liegt auf ca. 950 m Höhe, im Valle del Lys (Lystal), dem ersten Seiten oder Zuflußtal des Dora Baltea.
Von Pont Saint Martin begeben wir uns ca. 13 km in Richtung Norden aufwärts und überqueren das steile und enge Stück am Übergang des Valle del Lys in das Haupttal, bis wir drei Dörfer erreichen, die inmitten von Kastanien- und Laubwäldern liegen. Sie gehören dem franko provenzalischen Gebiet an, ebenso wie das gesamte Aostatal. Es geht weiter bis zu einer breiten, sanften Mulde, in der sich das Wohngebiet von Issime entwickelt hat. Diese Mulde entstand durch Gletscherschwund im Pleistozän und war immer schon ein idealer Ort für Besiedlungen da man auf dieser idealen Höhe das ganze Jahr verbleiben konnte.
Die ersten Gruppen, die bis hierher vordrangen, wurden ansässig und begannen Viehucht zu betreiben, Getreide und Hülsenfrüchte anzubauen. Sie gehörten dem Volk der Salassen an, deren Anwesenheit die erste, historisch nachweisbare im Aostatal war. Ligurer und Kelten hatten von ihrer früheren Anwesenheit Spuren bei Berg- und Flussbezeichnungen hinterlassen, wir finden jedoch in der einheimischen Geschichte keine Bestätigung über besondere Merkmale dieser Völker. Die Salassen waren mit den Römern schon seit dem 2. Jh. vor Christus in Konflikt. Mangels dokumentarischer Nachweise bleibt die Annahme, dass auch Issime die Folgen dieser Schlachten zu spüren bekam, hypothetisch, denn von hier aus erreichte man über die Hügel mühelos die angrenzenden Täler.
Die Talsohle ist flach, mit Ausnahme des breiten Schwemmkegels, der sich in Urzeiten in einem einzigen oder in mehreren Zeitabschnitten von der Flanke der Gebirgskette, die das Dorf im Westen begrenzt, gelöst hat. Dieser Kegel bildet auch den Zutritt in das breite Tal in dem San Grato liegt. Die Ortschaft ist heute in zahlreiche kleine Siedlungen mit wenigen Häusern zersplittert, mit einem Brunnen und oft auch einer Kapelle; es gab wahrscheinlich auch einen gemeinsamen Backofen am Platz. Im Zentrum des flachen Gebietes befindet sich heute die Hauptgemeinde, z’Duarf, mit der Pfarrkirche, dem Friedhof, dem Gemeindehaus, Geschäften und antiken Häusern, die sich um den breiten Platz scharen. Hier steht auch das Denkmal der Gefallenen Soldaten beider Weltkriege, eine Kopie des dreiteiligen Richterstuhles der Barone von Vallaise (auf den wir noch zurückkommen) und der Kindergarten. Der älteste Teil von Issime entwickelte sich auf einem Gebiet, das hinter dem heutigen Zentralkern liegt und das »z’Letz Duarf« genannt wird.

Èischeme: das Dorf (Foto: Massimo Paganone)

Èischeme: das Dorf (Foto: Massimo Paganone)

Die Ortschaft ist im Osten und im Westen von zwei Bergketten umgeben, den Grenzen zu den Tälern des Biellese im Piemont im Osten, und mit Fontainemore, Perloz, Arnad, Challand Saint Victor, Challant Saint Anselme, Brusson, Gressoney und Gaby im Westen und im Norden. Die Berggruppe im Osten ist ein gewaltiges Massiv mit steilen Wänden und ausgedehnten Geröllschutthalden, die heute teilweise mit Vegetation bedeckt sind. Das Bergmassiv wird von einem breiten Tal durchfurcht wo in vergangenen Zeiten Menschengruppen sesshaft waren. Im Sommer zogen sie auf die höher gelegenen wald- und wiesenreichen Gebiete. Hier stürzt der Wildbach Türrudschu in die Tiefe, der dem Tal seinen Namen gibt; zahlreiche Bäche und Flüsschen, die einige schöne, kleine Alpenseen bilden, münden in den Türrudschu.
Das Tal endet mit dem Colle del Lupo, 2340 m, und öffnet sich gegen das Biellese, mit der höchsten Spitze, dem Krecht (2546 m). Die Toponomastik dieser Zone ist fast ausschließlich franko provenzalischen Ursprungs, was auf eine noch ältere, ständige menschliche Ansiedlung als die von Issime hinweist und zwar San Grato, Sen Kroasch Gumbu sowie Bùrrini oder Bourrines. Beide Talmulden öffnen sich in der Gebirgskette, die das Dorf gegen Westen abgrenzt. Die Talmulde von San Grato dehnt sich am weitesten aus und hier stoßen wir auf zahlreiche Ansiedlungen, historische Zeugen der Walser Siedler, die sich auch in der angrenzende Talmulde von Burrini niedergelassen haben. Zwei Wildbäche, die das ganze Jahr hindurch wasserreich sind, werden von zahlreichen anderen Wasserläufen und einigen hochgelegenen Seen gespeist und stürzen hier ins Tal: der Walkchunbach und der Stolenbach. Der erste, nachdem er die Stufe des Zuflusses mit einem schönen Wasserfall übersprungen hat, wird Rickurtbach genannt, Name den ihm die drei Dörfer geben, die an seinen Ufern liegen, eben z’Obra z’Mittel, und z’Undra Rickurt. Beide Wasserläufe sind in regenstarken Zeiten sehr gefährlich, vor allem der Stolenbach. Schon seit dem 16. Jh. wurden von der Gemeinschaft zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um eventuellen Überschwemmungen vorzubeugen.
Alle Wasserläufe fließen in den Lys, d’Lijèisu, der am Gletscher des Lyskammes im Massiv des Monterosa entspringt und die Ebene von Issime durchquert. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele Überschwemmungen, wie jene vom 4. September 1948, an die man sich heute noch erinnert, das Dorf zerstört und schwere materielle Schäden angerichtet. Damals beklagte man auch einen Toten.
Zahlreich sind die Gipfel, die sich in diesem Felskarussell erheben: z’Huare, der Corno, 2002 m, der Monte Crabun, 2710 m, z’Siahuare, das Corno dei Laghi, 2748 m, la Becca Torchè, 3016 m, zu dessen Füßen sich der Col Dondeuil, 2388 m, gegen Challand Saint Victor öffnet, die Becca di Vlu, z’Vluhuare, 3032 m, der Vogel, da Vuagal, 2925 m, der dar unterliegende Col Tschasten, 2549m, der Issime mit Challand Saint Anselme, verbindet, der Nereschthuare, Mont Nèry, 3057m und schließlich eine Gruppe von Gipfeln, Wèiss Wèibla Dama Bianca, 2517 m, genannt. Der Mont Nèry, der in Challand Punta di Isamèe und in Brusson Becca di Frudière genannt wird, wurde im Jahre 1873 vom Abt Amè Gorret zusammen mit zwei Männern aus dem Dorf erstiegen; er hinterließ uns einen detaillierten Bericht über sein Unternehmen in welchem er das wundervolle Panorama beschreibt, das man von diesen Höhen genießen kann. Der Blick reicht bis zu den Gipfeln des Aostatals, des Piemont mit dem Monviso und bis zu den Bergen der Valtellina in der Lombardei.
Die Gemeinde von Issime erstreckt sich auf einer Fläche von 35,02 Quadratkilometern. Der Höhenunterschied reicht hier von 905 m bis zu 3057 m. Die letzte Volkszählung vom Jahre 2001 ergab 406 Einwohner die sich auf die Hauptgemeinde und auf über zwanzig Siedlungen verteilen, die fast alle das ganze Jahr über bewohnt sind. Es handelt sich um sogenannte Streusiedlungen, vereinzelt stehende Selbstversorgerhöfe, wie es bei den Walsern Brauch war.

DIE GESCHICHTE DER GEMEINSCHAFT

Èischeme: der Dorfkern in einer historischen Aufnahme

Èischeme: der Dorfkern in einer historischen Aufnahme

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das Gebiet von Issime, so wie das übrige Aostatal, schon in vorrömischer Zeit von den Nachfahren des Kelten Ligurerstammes, den Salassen, besetzt worden ist. Dieses starke, stolze und mit der Viehzucht und dem Bergbau sehr gut bewanderte Volk, musste sich sehr bald seinem Feind Nummer Eins stellen: den Römern. Mehr als ein Jahrhundert hindurch folgen aufeinander blutige Kriege mit wechselhaften Erfolgen, bis zur endgültigen Kapitulation im Jahre 25 v.Chr. unter Aulo Trenzio Varrone, zur Zeit der Regierung von Augustus. Das zentrale Tal der Region erfuhr eine radikale Veränderung, die alle sozialen Aspekte betraf, was hingegen in den Seitentälern nicht in gleichem Ausmaße der Fall war, wo Kultur, Sprache und Brauchtum, auch wenn teilweise verändert, erhalten blieben.
Man weiß, dass zu dieser Zeit und während des ganzen Mittelalters, die Berge kein unüberwindliches Hindernis für die Einwohner der Täler waren, sondern ein Durchzugs gebiet, um mit anderen Völkern Handel zu betreiben; dasselbe galt für die Völkerwanderungen, die seit jeher die Geschichte der Menschheit zeichneten.
Die zahlreichen Pässe, die über die Berge führen, die besonders günstigen klimatischen Verhältnisse sowie das dringende Überlebensbedürfnis ermöglichten und begünstigten diesen Wanderstrom, von dem zahlreiche Täler des Alpenbogens betroffen waren. Die Völkerstämme wanderten vom hohen Savoyen bis zu den Gebieten am Fuße des Monte Rosa und den Schweizer Alpen, vom Kanton Graubünden bis in das österreichische Vorarlberg, nach Liechtenstein und bis in das entfernte Tirol. Es handelte sich um die Walser, das heißt um jenes alemannische Volk, das vom Hohen Wallis, genauer aus dem Gomstal kam, wo es sich im 8. und 9. Jh. auf Einladung des Bischofs von Sion, der sich bessere Erträge für seine Gründe erwartete, niedergelassen hatte. Im 12. Jh. begaben sich die Walser auf die unwirtlichen Bergpfade um neues Land zu suchen, das sie als Weiden für ihre Herden nutzen konnten. Diese Wanderwelle von Mensch und Tier sollte weitere zwei Jahrhunderte dauern und brachte die Besiedlung von unbewohnten Talschlüssen mit sich, die reich an Wiesen, Weiden, Wäldern und Wasser waren. Die Walser erhielten von den Feudalherren das Recht, die ihnen zugeteilten Ländereien urbar zu machen. Als Gegenleistung mussten sie einen in der Zeit unveränderlichen und vererbbaren jährlichen Pachtzins entrichten; es handelte sich um die sogenannten Erbpachtverträge, eine Vertragsart die damals in Mittel- und Nordeuropa geläufig war und von den Walser Siedlern als Garantie für ihre Arbeit auf den brachliegenden Ländereien, die sie rodeten und urbar machten, übernommen wurde.
Über die Pässe des Teodolo, der Bettaforca und des Pinter erreichten die Walser die Talschlüsse des Aostatals, die sich zu Füssen des Monte Rosa erstrecken: das Val d’Ayas und das Valle del Lys und sie ließen sich dort ohne auf Hindernisse zu stoßen nieder. Es entstanden so die Dörfer von Rèsy, Cunèaz und Varda, alle auf einer Meereshöhe von über 2000 m. Im Val d’Ayas und im Valle del Lys hingegen besiedelten die Walser den ganzen Talschluss, wo sich heute die beiden Gemeinden von Gressoney befinden. Auf Höhenpfaden stießen sie immer weiter vor bis zu den Talmulden von Bùrrini und San Grato, oberhalb von Issime, wo sie das Dorf Niel gründeten, das heute zum Gemeindegebiet von Gaby gehört.
Die Gemeinde Gaby gehörte bis 1952 zur Gemeinde Issime. Mit Regionalgesetz Nr. 1 vom 31.3.1952 wurde die Fraktion von Gaby zur autonomen Gemeinde erklärt. Im Protokoll des Gemeinderates vom 11.11.1951 liest man: »… der Gemeinderat ist der festen Überzeugung, dass die Autonomie für beide Gemeinden von Vorteil ist, sei es um die seit Jahrhunderten bestehenden Gegensätze, die jegliche Aktivitäten zum Stillstand bringen zu beseitigen, sei es weil– wie bekannt – die Autonomie den Unternehmens- ebenso wie den Opfergeist erweckt und anspornt …«1. Monsignore Jean Joconde Stèvenin, gebürtig aus Gaby, ein Mann von großer Kultur und in der heimischen Geschichte und jener des Aostatales stark engagiert, sagte einmal: … »unser Rat ist mit seinen Dezentralisierungsregeln und dem Respekt vor den Volks und den Sprachgruppen seinen Prinzipien treu geblieben. In der Tat hatte die Geschichte zwei Völker verschiedener Herkunft und Sprache vereinigt: jenes von Gaby, gallisch lateinischen Ursprungs mit einer Aostataler Mundart, und jenes von Issime, deutschen Ursprungs mit einem deutschen Dialekt2«
Dort wo sie beschlossen hatten sich niederzulassen, gaben die Walser der Umgebung eine besondere Prägung und ihre Gebiete unterschieden sich stark von jenen, die von lateinischen Völkern besiedelt waren. Sie bauten keine Dörfer aus zahlreichen eng aneinander grenzenden Wohnhäusern aus Stein, sondern sogenannte Streusiedlungen, vereinzelt stehende Selbstversorgerhöfe, die bei Brandgefahr leichter zu kontrollieren waren. Diese Bauweise entsprach auch der Lebensart der Walser, ihrem Idealismus und ihrem Familiensinn, was jedoch bei weitem nicht Isolierung, Egoismus oder Nichtbeachtung der Nachbarn bedeuten sollte. Ganz im Gegenteil. Die lebhafte Anteilnahme an den verschiedenen Ereignissen des sozialen Lebens bewies man durch gegenseitige Hilfe, man teilte Freude und Schmerz, war einfühlsam und sich der gemeinsamen Wurzeln bewusst, die in Jahrhunderte langer gemeinsamer harter Arbeit, Opfern und Erfolgen, Hoffnung und Zusammenhalten liegen.
Ihr Können, das sie aus persönlichen und gemeinsamen Erfahrungen gewonnen hatten, drückte sich beim Bau ihrer Häuser, ihrer Dörfer, ihrer Kirchen, Brücken und Pfade, Mühlen und Bewässerungskanäle aus. Sie verwendeten Baumaterial aus der Umgebung, also Holz und Stein. Die Verbindung dieser beiden Materialien, an denen die Talmulden von Issime reich sind, ermöglichte es den Neuankömmlingen architektonisch Sehenswertes zu schaffen. Die Bauten, die wir heute bewundern können, gehen höchstens auf das 16. Jh. zurück, vor allem wegen der Natur der Baumaterialien selbst, bereichern uns aber mit dem Wissen das wir brauchen, um das Leben unserer Vorfahren zu verstehen. Auf ein Fundament aus Stein, in dem der Stall für das Vieh, Kühe, Ziegen und Schafe untergebracht ist, werden meist zwei Stöcke aus Holz gesetzt. Die großen Fichten- oder Tannenholzbalken werden zugeschnitten und verkeilt, sodass ein einziger solider Block entsteht. Die Balken des ersten Stockes werden mit großer Sorgfalt bearbeitet, damit sie gut zusammenhaften; zur Wärmeisolierung wird zwischen den Balken eine Schichte gereinigtes und getrocknetes Moos und Flechten gelegt.
In diesem Teil des Hauses befindet sich die Küche, die eine Steinwand für die Feuerstelle hat und einen Raum, der als Aufenthalts- und Schlafraum dient: dort stehen der Steinofen, die Betten, ein Tisch, Bänke, Hocker, an den Wänden hängen verschiedene Werkzeuge, die während der Winterzeit für kleine Arbeiten benötigt werden, wie zur Herstellung von bäuerlichen Gegenständen und Küchengeräten aus Holz; hier wird Wolle gesponnen, man webt einfache Woll- oder Hanftücher, näht Kleider und fabriziert Schuhe. Die Stunden vergehen in der vom Herd und dem darunter liegenden Stall erwärmten Küche langsam und arbeitsreich, belebt von Geschichten aus alter Zeit und Legenden über Hexen, Feen, Zwerge und Kobolde, aber auch über Geister und sogar den Teufel.
An den Wänden und in dem Teil des Raumes mit den Betten hängen zahlreiche Bilder und religiöse Gegenstände, die einen kleinen, der Heiligen Jungfrau gewidmeten Altar umgeben und den tiefen christlichen Glauben dieses Volkes ausdrücken.
Im oberen Stockwerk befindet sich ein weiterer Raum, der nur im Sommer benutzt wird. Hier stehen mehrere Betten, eine Truhe um einige Kleider zu verwahren, ein Ständer für das fertige Roggenbrot, das ein oder zwei Mal im Jahr gebacken wird und einige Holzstangen auf die die Würste gehängt werden, die man zur Weihnachtszeit vorbereitet hat. Weiters gibt es den Heuboden mit dem Heu, das im Sommer auf den nahen Wiesen gemäht worden ist, während sich das Vieh auf den hohen Almen befindet. In einem zweiten, kleineren Raum, direkt unter dem Dach, bringt man das Heu aus dem zweiten Schnitt unter, falls es noch trocknen muss. Auch das Heu, das von den Hausfrauen mit einer Sichel auf den gemeinsamen Dorfwiesen gemäht worden ist, wird hier verstaut. Die zwei Dachflügel sind mit schweren Schieferplatten bedeckt und sehr breit, um den Holzteil des Hauses zu schützen und um Zuflucht für kleine Tätigkeiten unter dem Hausdach zu bieten.
Bei einigen Häusern kann man auf einer innen angebrachten Stiege von einem Stock zum andern steigen. Auch im Erdgeschoss, also im Stall selbst, wird oft ein Wohnraum eingerichtet, den man mit einer Holzwand von den Tieren trennt, um so die angenehme Tierwärme zu nutzen.
Schließlich gibt es fast immer einen Balkon, der vielen Zwecken dient: Heu oder Holz zu trocknen, die Wäsche aufzuhängen, die aber meistens auf die nahen Wiesen gelegt wird oder um sich in der Abendstille nach einem anstrengenden Arbeitstag auszuruhen. Neben diesem Bau steht ein anderes, einfacheres und niedrigeres Gebäude, Stoadal genannt; dieses besteht aus einem Steinfundament, in welchem der Keller liegt, der zur Aufbewahrung von Milch und Käse und Kartoffeln dient. Darauf werden Stein- oder Holzpfosten gestellt, Stoadalbein genannt, die einen Heuboden oder eine Ablage für das Getreide tragen. Diese Stoadalbein sind unentbehrlich, um die Waren vor der Feuchtigkeit und vor den Tieren zu schützen.
An der Eingangstür wird ein Holzkreuz angebracht und auf dem Tragbalken sind das Baudatum und das Monogramm des Besitzers eingemeißelt, sowie die christlichen Symbole IHS mit einem Kreuz oder mit einem Anker. Diese Elemente sind oft auf den Hauptbalken zu finden und auch sie zeugen von der tiefen Religiosität der Bevölkerung von Issime, die manchmal sogar zu übertriebenen, von Aberglauben beeinflussten Glaubensbekenntnissen führen konnten.
Vermutlich erreichten die Walser diese Gebiete um das 12. Jh. und verblieben hier auf den Hochebenen, wo sie die südlichste, ständige Hochgebirgsniederlassung gründeten. Das Tal war bereits besetzt, wie aus einer Urkunde mit dem Siegel von Papst Lucio III aus dem Jahre 1187 hervorgeht, in der die Pfarrkirche von Issime genannt wird. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass diese neue Ansiedlung in der bereits bestehenden Gemeinschaft Verwirrung angerichtet hätte oder dass Zwist und Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei kulturell, sprachlich und vom Brauchtum her so unterschiedlichen Menschengruppen entstanden wären. Es ist eher anzunehmen, dass die kleine Gruppe in der Ebene ein ziemlich eintöniges Leben führte und die Ankunft einer neuen Gruppe arbeitsamer Menschen mit großem Unternehmungsgeist mit Freude aufgenommen wurde. Das gesamte Gebiet von Issime nahm daher schnell die Merkmale des alemannischen Volkes an mit Ausnahme des nördlicheren Teiles, dem heutigen Gaby, Oberlann in Töitschu, wo bis heute eine für das Aostatal typisch franko provenzalische Gemeinschaft erhalten geblieben ist.
In diesen Jahrhunderten teilte sich das Herzogtum von Aosta zwischen zahlreichen adeligen Familien auf, allen voran die Familien der Challant und jene der Vallaise, zu deren umfangreichen und wertvollen Besitzungen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Aostatals auch das Valle del Lys und das Valle d’ Ayas gehörten. Lange Zwistigkeiten bestimmten die Beziehungen dieser beiden Familien, vor allem um den Besitz einiger für die Verbindungen und den Handel besonders wichtiger Ländereien.
Issime war Feudaleigentum der Vallaise, die hier einen ihrer Sitze für die Einnahme der Steuern und Abgaben einrichteten, ebenso wie die Jurisdiktion, die durch Jahrhunderte auch die Bevölkerung von Gressoney betrafen. Die Issimer hatten ein Sonderstatut, das ihnen Privilegien, Immunität und Freistellungen einräumte. Dieses Statut wurde ihnen von den Vallaise im Jahre 1320 gewährt, und in den darauf folgenden Jahrhunderten erweitert und bestätigt. Dieser Vertrag entstand aus gemeinsamen Entscheidungen zwischen den Männern der Gemeinschaft und den Feudalherren. Das Statut enthielt zahlreiche Verwaltungsverordnungen, welche einerseits die steuerlichen und gerichtlichen Rechte der Vallaise festlegten, und andererseits die Freiheit der Einwohner mit allen ihren Landgütern bestätigten. Diese mussten eine Steuer »una tantum« entrichten, die sie von allen weiteren Steuerlasten befreite; sie konnten sich frei auf den Ländereien der Feudalherren bewegen; die Kinder beider Geschlechter erbten sowohl vom Vater als auch der Mutter die beweglichen und unbeweglichen Güter; heiratete jedoch ein Mädchen, so konnte sie nichts von der Erbschaft fordern. Wer Dienst in der Miliz des Feudalherrn leistete, musste alle Ausgaben selbst bezahlen, wenn er innerhalb des Besitztums stationiert war, der Feudalherr nahm jedoch sämtliche Spesen auf sich, wenn der militärische Einsatz außerhalb der Grenzen seines Besitztums erfolgte; von diesen Kosten waren die Witwen und die Kinder unter 15 Jahren ausgenommen; nach ihrem 15. Geburtstag hatten auch sie eine gewisse Freiheit und konnten zum Beispiel mit Einwilligung des Vormundes Dokumente unterschreiben. Das Statut sah weiters vor, mit welchen Strafen die Vergehen gegen den Feudalherrn, die Verwalter und das gemeinsame und private Eigentum belegt wurden.
Ab dem 13. Jh. war Issime die Hauptgemeinde des Bezirkes und Sitz des Gerichtes; hier amtierten auch der Richter und der Notar. Die Tätigkeit der Richter der Familie Vallaise endete im Jahre 1770; das letzte Mitglied der adeligen Familie war Graf Alessandro, der 1823 starb. Er war Erster Staatssekretär und Minister für Auswärtige Angelegenheiten unter der Regierung von Vittorio Emanuele I. und vertrat das Sardinische Reich beim Wiener Kongress im Jahre 1815.
Am Hauptplatz steht eine Nachbildung des Dreiergestühls auf dem der Richter und seine Räte bei ihrer Amtsausübung Platz nahmen. Das Original steht in der nahen Pfarrkirche. Das mittlere Richterstuhl aus dem 18. Jh., ist etwas breiter und trägt das geschnitzte Wappen der Vallaise, auf dem zwei Hirsche mit dem Band der Heiligen Jungfrau und den Symbolen der richterlichen Macht, dem Schlüssel und dem Schwert, zu sehen sind. Neben dem Gericht ist eine schwere Eisenkette angebracht, an deren Ende ein Halsband befestigt ist: die Kette wurde dem Missetäter um den Hals, um einen Arm oder um ein Bein gelegt; er wurde, je nach Ausmaß der Schuld, auf dem Hauptplatz der öffentlichen Ächtung ausgesetzt und zwar für eine gewisse Anzahl von Sonntagen, eben je nach Urteilsspruch. Bis etwa zur zweiten Hälfte des 19. Jh. war das Gebiet von Issime verwaltungsmäßig in drei Zonen geteilt. Das hat sich aus verschiedenen Gründen als notwendig erwiesen.
Das Gemeindegebiet dehnte sich nicht sehr weit aus, aber die morphologische Beschaffenheit machte es den Einwohnern, vor allem in den Wintermonaten, oft schwer sich fortzubewegen und den Hauptort zu erreichen oder die Kontakte unter sich aufrecht zu erhalten. Bedingt durch die ethnischen und sprachlichen Unterschiede war jede stärker bewohnte Siedlung daran interessiert, bei den öffentlichen Versammlungen angemessen vertreten zu werden. Es handelte sich um das Duarf, »Plaine« genannt, um San Grato und Bùrrini, die man »Montagne« nannte, um die beiden Walsergebiete, sowie um den oberen Teil des Tales gegen Gressoney, ungefähr dort wo heute die Gemeinde Gaby liegt – mit franko provenzalischer Sprache und Kultur – »Tiers dessus« genannt. Man erreichte, dass für jedes »Drittel« ein Bürgermeister gewählt wurde. Sein Amt dauerte ein Jahr, jenes der drei oder vier Räte vier Jahre. Alle wurden aus den einflussreichsten, kulturbeflissensten und reichsten Familienoberhäuptern gewählt.
Die Gemeindeversammlung trat gewöhnlich am Sonntag, nach der Grossen Messe, nach dem Läuten der Hauptglocke, im Hauptort von Issime Saint Jacques zusammen. In Fällen, die eine rasche Lösung verlangten, konnte die Versammlung auch an Wochentagen einberufen werden, was immer mit Glockengeläute angekündigt wurde; mit Glockengeläute rief man auch das Volk zusammen.
Das Dorf Gaby wurde Issime Saint Michel genannt und leitete seinen Namen von der Kapelle ab, die die Gläubigen in dieser Gegend besuchten; 1786 wurde sie zur Pfarrkirche erhoben.
Im Januar 1763, nachdem König Carlo Emanuele III. das Herzogtum Aosta an die Gesetze des Reiches von Sardinien angepasst hatte, musste sich auch die Gemeinschaft von Issime mit der Wahl eines neuen Gemeinderates befassen. Alle Familienoberhäupter vereinten sich zur Wahl der sieben Räte, die dann unter sich bestimmten, wem das Amt des Bürgermeisters für ein Jahr übergeben werden sollte. Nach diesem Amtsjahr legte der Bürgermeister das Ruder in die Hände des ältesten Gemeinderates und er selbst wurde erster Gemeinderat. Ein Sekretär wurde aufgenommen, der Notar sein musste und ein Jahresgehalt von 25 Livres erhielt. Einige Gemeinderäte verlangten ebenfalls eine Entschädigung für ihre Dienste zum Wohle der Gemeinschaft und weigerten sich, den vorgesehenen Eid abzulegen. Sie behaupteten, durch ihre Amtstätigkeit die eigene Arbeit vernachlässigen zu müssen und dadurch einen finanziellen Schaden zu erleiden. Der Vizevogt des Herzogtums befahl diesen Räten unter Androhung einer Strafe von 20 Livres, den vom Gesetz vorgesehenen Regeln innerhalb von drei Tagen Folge zu leisten. Die Abschaffung der drei Bürgermeister verursachte große Unzufriedenheit und oft auch Zwistigkeiten und Schwierigkeiten verschiedener Natur in der Bevölkerung, aber die Forderung, zur alten Institution der Aufteilung in drei Zonen zurückzukehren, wurde nicht angenommen.
Issime folgte von diesem Zeitpunkt an der Entwicklung, den Ereignissen, den geschichtlichen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen des Aostatals. Unter napoleonischer Herrschaft wurde die Gemeinde Issime Teil des Kantons von Fontainemore, einem Bezirk von Aosta, Departement der Dora. Die Männer wurden eingezogen und nahmen an den verschiedenen Konflikten, von den Freiheitskriegen bis zu den Eroberungen der Kolonien und den beiden Weltkriegen teil; viele kehrten nicht mehr nach Hause zurück. Die Folgen für die hinterbliebenen Familien waren tragisch. Nicht nur das Leid, sondern auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren groß und konnten nur dank der Großzügigkeit der Gemeinschaft überwunden werden. Besonders lebendig ist noch die Erinnerung an die schrecklichen Tage des Juli und Augustes 1944, als aus Rache über das Verschwinden von zwei Soldaten aus dem im Dorf stationierten Kommando, die Deutschen 20 Personen festnahmen und drohten, diese zu erschießen und das ganze Dorf in Brand zu setzen, falls die beiden Soldaten und ihre Waffen nicht innerhalb von zwei Tagen dem deutschen Kommando übergeben werden. Nur das Eingreifen des Pfarrers beim deutschen Kommando, der sich selbst als einzige Geisel anbot, rettete die Gefangenen und das Dorf vor der Zerstörung. Auch der Pfarrer wurde verschont. Im darauf folgenden Jahr wurde eine Siedlung in Brand gesetzt, weil falschen Informationen zufolge die Issimer mit den Partisanen in Verbindung gebracht wurden. Es kamen jedoch keine Menschen zu Schaden.
In all diesen Jahrhunderten stützte sich die Wirtschaft vorwiegend auf die Viehzucht: Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine und Geflügel, deren Produkte nicht nur der Ernährung der Familie dienten, sondern auch auf den Märkten im unteren Aostatal, in Canavese und in den angrenzenden Tälern verkauft wurden. Man baute auch Roggen, Gerste, Korn und Weizen, Hülsenfrüchte, Saubohnen und Erbsen, Gemüse wie Kohl, Rüben und Zwiebel an, deren Ertrag jedoch gerade ausreichte um die Bevölkerung zu ernähren. Neben diesen Tätigkeiten wurden auch viele andere Arbeiten und Berufe ausgeübt. Notare, Rechtsanwälte, Geldverleiher, Kleinhändler, Steuereinheber gingen hier ihren Tätigkeiten nach, ebenso wie Holzfäller, die einheimische Schmieden mit Holz versorgten und dieses auch an Schmieden in die nahegelegenen Dörfer lieferten, die Eisenerz verarbeiteten, das von der Vialchiusella im Piemont kam. Es gab auch zahlreiche Wirte und Maurer. Vor allem die Maurer wanderten bereits ab dem 17. und bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jh. nach Savoyen, ins Wallis und in andere Dörfer der Täler aus, um mehr zu verdienen, um neue Erfahrungen zu sammeln, um die oft zahlreiche Familie, die fast immer im Dorf zurückblieb, wo sich die Frauen um alles kümmern mussten, besser erhalten zu können.
Meist fand diese Auswanderung der Arbeitskräfte vom Frühling bis zum Herbst statt, nicht selten verließ auch die ganze Familie das Dorf, in das sie nur selten zurückkam. Issime erfuhr über Jahrhunderte hinaus einen gewissen Wohlstand, wie die großen Steinhäuser der Hauptansiedlung aus dem 16. und 17. Jh. bezeugen. Sie hatten einen zur Strasse hin durch eine Mauereinfriedung mit einem befahrbaren Tor abgegrenzten Innenhof und im Hausinneren Stiegen und Korridore, die zu zahlreichen Räumen führ ten. Ein oder zwei Ställe im Erdgeschoss und ein Heustadel im Obergeschoss vervollständigten den Hof. Ein weiteres wichtiges Zeugnis des finanziellen Wohlstandes des Dorfes war die dem Heiligen Apostel Jakob gewidmete Pfarrkirche. Sie wurde im Jahr 1683 von den Brüdern Ferro aus Alagna im Valsesia, mit Beiträgen der gesamten Gemeinschaft, neu errichtet. Der Hl. Apostel wird am 25. Juli gefeiert. Im Jahr 1697 beschloss man einen Hauptaltar aus Fichten und Zirmholz aufzustellen. Er ist mit zahlreichen Figuren, Säulen und vergoldeten Friesen ausgestattet. Mit den Arbeiten wurden die Brüder Gilardo aus Campertogno im Valsesia beauftragt. Im darauffolgenden Jahr unterzeichnete die Gemeinschaft von Issime ein Übereinkommen mit Francesco Biondi, der sich verpflichtete, die Fassade der Kirche mit einer Abbildung des Jüngsten Gerichtes zu schmücken; diese kostbare Malerei wurde erstmals im Jahr 1770 von Antonio Jacquemin aus Riva Valdobbia und im Jahr 1970 von der Regionalverwaltung des Aostatals restauriert. Die Fassade wurde unter Denkmalschutz gestellt, wie auch der anliegende Glockenturm, der mindestens im unteren Teil auf das erste Jahrtausend zurückzuführen ist.
Der Kirchplatz, auf dem sich einst der Friedhof befand, ist im Westen von einer Reihe bemalter Nischen eingerahmt mit fünfzehn Darstellungen aus dem Leben Christi mit den Aposteln und den Heiligen. Die Gemeinschaft beauftragte mit dieser Arbeit – mit einem 1755 abgeschlossenen Vertrag – einen gewissen Meister Antonio Facio aus Valprato in Val Soana, Piemont. Hinterlassenschaften, Legate und Schenkungen sind im 18. Jh. Und in den darauf folgenden Jahrhunderten sehr häufig und erlaubten es, die zahlreichen Kappellen in den Siedlungen zu erbauen und auch öffentliche Schulen zu gründen. Im Jahr 1737 hinterlässt Frau Jacquême Linty in ihrem Testament ein Haus und ein Grundstück für die Errichtung einer Schule in Issime Sain Jaques und im Jahr 1757 hinterlässt der Priester Jean Christille aus Issime ein Legat von 5000 Franken mit der Bedingung, die Schule mindestens zehn Monate im Jahr offen zu halten und neben den üblichen Fächern, die immer in Französisch, der offiziellen Sprache des Aostatals gelehrt wurden, auch die ersten Lateinstunden einzuführen.
Auch für die Mädchen wurde eine Schule eröffnet, die sich jedoch auf drei, vier Monate Unterrichtszeit beschränkte; sie lernten Lesen und Schreiben sowie jene Handarbeiten, die für eine gute Hausfrau und Mutter notwendig waren. Am Anfang betraute man einen Priester , der nicht entlohnt wurde, mit dem Unterricht, um allen Kindern, auch jenen aus armen Verhältnissen, den Zutritt zu einer Grundschulbildung zu ermöglichen. Später konnte ein Laie mit dem Unterricht beauftragt werden, da für seine Entlohnung Geldmittel vorhanden waren. Die Mädchenschule wurde einer Frau anvertraut, die nicht unbedingt eine große Bildung aufweisen musste, aber einen untadeligen Lebenslauf. Auch die Lehrerin erhielt eine Entlohnung, wenn auch eine geringere als der Lehrer.
Bis zum Anfang des 20. Jh. war kein Schulgebäude vorhanden, es wurde ein Raum in einem möglichst nahe der Kirche liegenden Privathaus angemietet und im Winter sorgten die Schüler für das Holz zum Heizen. Es gab hier sicher auch vor diesen Einrichtungen eine Schule, da bereits seit dem Jahre 1432 der Bischof von Aosta seinen Vertrauten, den Erzbischof der Kathedrale beauftragte, Lehrkräfte für die Stadt Aosta und die gesamte Diözese zu bestellen. Aus diesen ersten Schulen kommen auch die im Dorf zahlreich anwesenden Notare, Rechtsanwälte, Ärzte und Männer der Kultur, die Räte des Herrn von Vallaise.
Nach der Einigung Italiens im Jahr 1860 wollte die Zentralregierung jegliche regionale Besonderheit beseitigen und verbot den Gebrauch und den Unterricht der französischen Sprache in den Schulen. Dies brachte große Verstimmungen mit sich und es ist allgemein bekannt, dass mindestens in den kleinen Bergdörfern keine grundlegenden Änderungen eingeführt wurden und der Unterricht wie üblich fortgeführt wurde. Ganz anders war dann die Situation unter der faschistischen Regierung als die Italienisierung viel radikaler und die Kontrollen viel strenger wurden.
In den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wurde in unserem Dorf eine Oberschule, d’Obru Schul, eröffnet um den Jungen und Mädchen die Möglichkeit zu geben, sich im Ort weiterzubilden, sie konnten das Gymnasium besuchen, um dann die Abschlussprüfung in einer öffentlichen Schule abzulegen. In der zweiten Nachkriegszeit erreichten der Wiederaufbau, das Wiederaufleben und der wirtschaftliche Aufschwung auch unsere Gemeinschaft. Das Interesse galt immer mehr dem unteren Tal und dem Canavese, wo kleine und große Industrien entstanden. Denken wir nur an die Olivetti in Ivrea und die Illsa Viola in Pont Saint Martin die vielen Menschen Arbeit verschafften, bis die Wirtschaftskrise die Schließung des Stahlwerkes von Pont Saint Martin und drastische Personaleinschränkungen in den anderen Fabriken mit sich brachte.
Das Dorf wurde langsam verlassen, zahlreiche Familien und Pendler siedelten sich endgültig in der Nähe ihrer Arbeitsplätze an und die traditionellen Tätigkeiten wie die Viehzucht und die handwerklichen Tätigkeiten brachten immer weniger Ertrag. Dieses Phänomen hat auch viele andere Berggemeinschaften betroffen und die Regionalverwaltung sah sich gezwungen, Initiativen und Maßnahmen zu ergreifen um diese Abwanderung einzuschränken. Dank finanzieller Zuwendungen und verschiedener Erleichterungen konnte sowohl die Landwirtschaft als auch die Handwerkstätigkeit wieder aufgenommen werden. Vom Jahr 1966 bis zum Jahr 1984 wurden im Dorf Werkstätten für Stopferei und Anfertigung von Kleidern und Sportartikeln für einige Industrien des Canavese und Biellese eingerichtet, die den Frauen von Issime und aus den nahe liegenden Dörfern Arbeit brachten.
Die Viehzucht, hauptsächlich Rinderzucht ,wurde bis zu den siebziger Jahren zwar mit wenigen Tieren, aber von fast allen Familien betrieben. Heute sind es wenige landwirtschaftliche Betriebe, die mit einer größeren Anzahl von Tieren, ca. dreißig im Durchschnitt, arbeiten und fast alle den Sommerauftrieb auf den Dorfalmen betreiben. Nur 19% der Landwirtschaftsgrundstücke ,die einer einzigen Familie gehören, sind über 50 Hektar groß, 47% der Grundstücke zwischen 2 und 10 Hektar. In unserer Gemeinde werden besondere Agrarmaßeinheiten verwendet: d’koartunu lann sind 609 Quadratmeter und die meistgebrauchte Maßeinheit, während d’meedzu lann 304,5 Quadratmetern entspricht und d’summi lann mit 1218 Quadratmetern nicht mehr üblich sind.
Die Handwerker sind Tischler, Maurer, kleine Bauunternehmer, Elektriker und Installateure. Die Einwohner von Issime arbeiten hier oder in den nahe liegenden Dörfern als Lehrer, Bank- und Büroangestellte, Fabrikarbeiter, Förster sowie in den Skibetrieben Monterosa Ski in Gressoney.
Issime war eines der ersten Dörfer im Aostatal, in das bereits Ende des 19. Jh. Sommergäste und Touristen kamen. Das milde Klima, die gute Lage, die Besonderheit der Landschaft und die Ordnung und Zurückhaltung der Einwohner sind Garantie für alle, die Ruhe und Entspannung suchen. Aber wer den Berg liebt und sich ihm nähern möchte, findet hier unvergleichlich schöne Plätze mit ihrer eigenen Geschichte. Die Nähe zu den Skipisten von Gressoney zieht auch im Winter Sportler und Bergliebhaber an.

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1 Gemeindearchiv von Issime. Kat. 1 -Klasse 1- Umschlag Nr. 1
2 Issime - die Geschichte Internet www.walserland.org

DIE TRADITIONEN

Die nachfolgenden Angaben entsprechen einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensabschnitt unserer Gemeinschaft bis zu den sechziger Jahren. Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sich auf nationaler und regionaler Ebene Änderungen, Fortschritte, Erneuerungen und das Bedürfnis zur Anpassung abzeichneten, die einen bequemeren Alltag versprachen, man hatte mehr Geld zur Verfügung und die soziale Lebensform hatte sich allgemein verbessert. Die Folge war jedoch eine Abflachung all jener kulturellen Aspekte, die eine Gesellschaftsgruppe kennzeichnen und charakterisieren. Die Ereignisse, die im kulturellen Leben unserer Vorfahren eine grundlegende Rolle spielten, gerieten in Vergessenheit, man ignorierte sie und schämte sich fast seiner Vergangenheit. Früher wurde der Geburt eines Kindes nicht so große Bedeutung wie heute beigemessen und so wie heute gefeiert, man hielt sich jedoch genau an einige, allen Familien jeglicher sozialen Rangordnung gemeinsame Prinzipien. Das Neugeborene musste innerhalb von drei Tagen nach seiner Geburt getauft werden, anderenfalls wurden die Glocken anlässlich der Taufe nicht geläutet; auch wenn der Vater des Kindes unbekannt war gab es kein Glockengeläute. Bis zur Taufe musste im Haus Tag und Nacht eine Kerze brennen.
Die Taufe fand um zwei Uhr nachmittags statt, das Kind wurde vom Paten und der Patin, die die örtliche Tracht trugen, zur Kirche gebracht; ihnen voran ging ein Kind, das eine große Kerze trug. War der Pate Mitglied des Gemeinderates oder eine wichtige Persönlichkeit trug der Pfarrer das Pluviale. Der Pate musste dafür sorgen, dass seine Geldbörse, als Wunsch für Glück und Reichtum für das Neugeborene, gut bestückt war. Auf eigene Kosten verteilte er auch auf dem Dorfplatz unter den Kindern, die vor dem Schulgang der Taufe beiwohnten, einen Laib Weißbrot, eine wahre Köstlichkeit. Die Patin brachte ihrerseits der Mutter in einem für diesen Anlass gekauften Weidenkorb, Kaffee, Butter, Eier und Süßigkeiten, sie durfte auch einen der drei Namen des Kindes aussuchen, die Wahl der anderen zwei stand dem Paten und den Eltern zu. Das Neugeborene wurde auf ein Kissen gelegt und mit einer Seidendecke zugedeckt, an deren vier Ecken rosarote oder hellblaue Maschen angebracht waren. Auf diese Decke legte man eine große weiße Spitzendecke. Vor der Taufe trug das Kind eine Mütze die mit bunten Blümchen geschmückt war und während der Taufe durch eine weiße Mütze ersetzt wurde.
Die Zeremonie endete, je nach finanzieller Möglichkeit, mit einem vom Taufpaten spendierten Essen im engsten Familienkreis.
In den Tagen nach der Geburt musste die Mutter zur Kirche gehen, um vom Pfarrer eine besondere Reinigungssegnung zu erhalten.
Obwohl geliebt und gut aufgenommen wurde den Kindern keine besonderen Aufmerksamkeiten geschenkt: man stillte sie sehr lange und pflegte sie sorgsam wenn sie krank wurden; der vorzeitige Tod eines Kindes wurde jedoch als ein natürliches, wenn auch schmerzhaftes Ereignis hingenommen. Bereits sehr früh musste sich das Kind mit einem jüngeren Bruder oder einer jüngeren Schwester befassen, es musste das Kleinkind wiegen sobald es weinte, darauf aufpassen und seinen Bedürfnissen nachkommen, es ablenken, es liebkosen und auch mit ihm schimpfen, es musste in der Tat im Laufe der Jahre die Eltern, die ihrer Arbeit nachgingen, ersetzen, bis ein anderes Geschwister seinen Platz übernahm. Viel Zeit zum Spielen gab es nicht. Bei Schlechtwetter und am Sonntag tummelten sich die Kinder mit den Geschwistern und anderen Dorfkindern auf der Wiese oder vor dem Haus, spielten mit kleinen, geschnitzten Tieren, Flöten und Pfeifen, einfachen Stoff- oder Papierpuppen, mit Metallringen, die sie mit einem Stock weitertrieben, Schleudern, Pfeil und Bogen. Gruppenspiele wie Verstecken, die vier Ecken usw.,waren sehr beliebt und im Winter vergnügte man sich mit Holzrodeln auf denen man sowohl bei Sonnenschein als auch in den Vollmondnächten mit viel Lärm und Gelächter die verschneiten Hänge hinunterrutschte. Damals gesellten sich auch die Jugendlichen, Jungen und Mädchen dazu und man benutzte in diesem Fall den großen Schlitten, das Fuhrwerk mit dem man üblicherweise Holz, Heu und andere Materialien transportierte. Die meiste Zeit mussten sie jedoch den Arbeiten im Haushalt und auf den Feldern widmen.
Man dachte sehr früh ans Heiraten und konnte sich seinen Partner frei wählen, ganz so, wie man ihn sich wünschte.
Alle Familien, auch jene die über keine großen Mittel verfügten, taten ihr Möglichstes um die Trauung gebührend zu feiern, denn man erzählte dann ein ganzes Leben lang von diesem Fest.
Die Hochzeiten wurden üblicherweise im Winter gefeiert und die bevorzugten Tage waren Montag oder Donnerstag und später der Samstag. Der Bräutigam trug alle Kosten für die Hochzeit, für das neue Haus sowie für das Brautkleid, das bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Tracht war: ein langes Kleid aus Wollstoff, dessen Rock dank zahlreicher am Bund angebrachter kleiner Falten sehr weit und am Saum mit drei Samtvolants verziert war, während das Oberteil gekrauste Ärmel und am Halsausschnitt und den Manschetten schwarze und weiße Spitzen hatte. Über dem Kleid wurde eine schillernde Seidenschürze in verschiedenen Farben und auf den Schultern ein gefranstes Seitentuch in den Farben der Schürze getragen. Die junge Braut trug die Familienjuwelen: ein Kreuz und ein oder mehrere Goldherzchen , die an einem schwarzen Samtband auf die Brust herabhingen. Der Kopfschmuck bestand aus einer mit einem Spitzenkamm versehenen Haube hinter der ein reicher bunter Blumenkranz hervorschaute; vom Nacken hingen bunte Seidenbänder auf die Schultern. Zu besonderen Anlässen, wie eben der Trauung, einer Taufe oder dem Fest des Schutzpatrons, wurde die Haube mit einem kostbaren Schleier versehen der auf die Schultern herabfiel.

Èischeme: Walsertracht (Foto: Massimo Paganone)

Èischeme: Walsertracht (Foto: Massimo Paganone)

 

Der Bräutigam trug einen schwarzen Wollfrack mit einer Weste auf der die goldene Kette glänzte, die die Uhr in der Westentasche festhielt; das weiße Hemd, das der jeweiligen Mode folgte, wurde mit einem kleinen Seidenschal oder einer Krawatte gebunden. Er trug immer einen Hut.
In den vergangenen Jahrhunderten wurden regelrechte Hochzeitsverträge unterzeichnet, in denen die Rechte und die Pflichten des Ehepaares festgehalten und die Güter, die die Braut als Mitgift brachte, aufgezeichnet waren. Es handelte sich oft um Wäsche für den Haushalt und den persönlichen Gebrauch, Tiere, Geschirr und auch um Geld. Der kirchlichen Trauung, an der die Mutter der Braut nicht teilnahm, ging ein standesamtliches Versprechen in der Gemeinde voraus. Nach der Trauung begaben sich das Brautpaar und die Gäste zum Haus des Bräutigams wo sie das Hochzeitsmahl erwartete. Es gab verschiedene Aufschnitte, rohen Schinken und eingelegten Speck, Kastanien und Butter, Risotto, gekochtes Fleisch mit Kartoffeln, Braten und zum Abschluss Dörrobst und Schlagsahne. Während des Festessens, und zwar beim Hochzeitsbraten, entzündeten die Freunde des Bräutigams einige Böller. Nach dem Mahl wurde der Tanz eröffnet, an dem alle teilnehmen konnten.
Waren eine ältere Schwester oder ein älterer Bruder des Bräutigams oder der Braut noch nicht verheiratet, schenkte man ihnen zum Jux einen weißen Ziegenbock. Heiratete ein Mädchen aus dem Dorf einen Fremden, musste dieser den Jungen des Dorfes ein Pfand geben: ein Fass Wein. Weigerte sich der Bräutigam, bewaffneten sich die Jugendlichen mit allem was Lärm verursachte und gingen an den drei Abenden vor der Hochzeit laut tosend durch das Dorf.
Diese Bräuche leben heute nur noch in den Erzählungen der Großeltern.
Der Totenkult wurde in der Gesellschaft von Issime tief empfunden, die Begräbnisse sehr feierlich begangen.
Man kündigte den Tod eines Menschen, damals wie heute, mit dem Geläute der großen Kirchenglocke an, die mit einem besonderen Anschlag verkündete, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
Der Aufwand für den Begräbnisgottesdienst hing von der wirtschaftlichen Situation der Familie des Verstorbenen ab: je mehr man ausgeben konnte desto größer war die Anzahl der Priester sowie der entzündeten Kerzen , man konnte eine gesungene Messe lesen oder sie von der Orgel begleiten lassen. Waren die Familienverhältnisse sehr bescheiden, so sollten bei der Totenmesse doch drei Priester anwesend sein.
Die engste Verwandtschaft nahm fast nie an der Bestattung teil, so gab es kein lautes Weinen und keine Klagerufe, der Gottesdienst wurde auf sehr zurückhaltende Weise zelebriert. Das Begräbnis fand im Winter um zehn Uhr statt, im Sommer um neun Uhr, damit alle Familien teilnehmen konnten und man den Tag noch nutzen konnte. Bei diesen Anlässen wurde den notbedürftigsten Menschen ein warmes Essen angeboten und Geldspenden für die Kirche und die religiösen Bruderschaften gemacht.
Auch heute noch versammeln sich Verwandte, Freunde und Bekannte am Bett des Verstorbenen um für sein Seelenheil zu beten, Gebete, die auch an den drei auf das Begräbnis folgenden Abenden gesprochen werden.
In der Vergangenheit war der Winter für die Einwohner von Issime eine schwierige und mühsame Zeit. Die große Kälte zwang die Familie im einzigen beheizten Raum des Hauses zu leben, der sich über dem Stall befand, während alle anderen Räume fast unbewohnbar waren. Die Wege waren gefährlich vereist, was die Verbindungen und die Kontakte auf das Notwendigste beschränkte und oft gefror auch das Wasser in den Brunnen, was weitere Schwierigkeiten bedeutete. Musste man Heu, Holz oder Holzbretter von einem Ort zum anderen transportieren, benutzte man einen großen Holzschlitten. Die Tage waren kurz und kalt und die Nächte lang, schweigsam und oft von Kobolden, die in den Legenden und Volkserzählungen vorkamen, bevölkert.
Trotz allem wurde diese Jahreszeit mit Freude und Heiterkeit erlebt. Es war die Zeit, in der sich die Familie nach den langen Monaten, in denen die Ehemänner und die Söhne im Ausland gearbeitet hatten, wieder vereinte. Sie kamen Anfang Dezember ins Dorf zurück, brachten ihr Erspartes, neue Erfahrungen, neue Ideen und ein Geschenk für die Geliebten mit und blieben bis zum Frühjahr.
So begann eine Zeit mit viel Tanz, Festessen, Feuerwerken und angenehmer gegenseitiger Gesellschaft. Der erste Anlass war das Fest der Heiligen Barbara, das in der Kapelle von S.Grato im gleichnamigen Tal gefeiert wurde . Es folgten am achten Dezember das Fest der Unbefleckten Empfängnis, das in Issime »kleine Weihnacht« genannt wird, die Weihnachtsfeiertage und Neujahr, um dann am zwanzigsten Jänner den Winterschutzpatron, den Heiligen Sebastian zu feiern. Man hatte beschlossen dem Heiligen Jakob, dem Schutzpatron der Pfarrei, den man im Sommer feierte, einen weiteren Schutzpatron hinzuzufügen, der in den Wintermonaten gefeiert werden konnte, damit sowohl die Auswanderer als auch die Senner an den Feierlichkeiten teilnehmen konnten. Die Feiern der Schutzpatrone der verschiedenen Dörfer und der Fasching beendeten diese Periode, in der auch die meisten Hochzeiten stattfanden.
Außer an diesen gebotenen Feiertagen ergaben sich viele andere Anlässe, um sich in lustiger Gesellschaft zu treffen. Zum Beispiel die Abende, die alt und jung mit Kartenspiel verbrachten, es wurden abenteuerliche Geschichten erzählt, man spielte zum Tanz auf; eine reichhaltige Jause mit Hauswürsten, Käse, Kanestri und Risili, den typischen Mehlspeisen und Schlagsahne, Wein, Schnaps und Kaffee durften nicht fehlen. Die langen Winterabende wurden aber auch zur Ausführung jener Tätigkeiten genutzt für die man während der guten Jahreszeit keine Zeit hatte, wie Wolle spinnen, die Hanfschnürchen drehen, die man für die Naht der Sohlen der Filzpantoffel für alle Familienmitglieder verwendete, kleine Feldwerkzeuge reparieren oder anfertigen, Besen aus Birkenästen binden, Körbe flechten, auch solche die man auf dem Rücken trug, Holzgegenstände schnitzen oder ausfeilen.
Am Tag beschäftigte man sich mit den üblichen Hausarbeiten und der Tierhütung. In den Wochen vor Weihnachten wurden die Würste zubereitet. Fast jede Familie züchtete zu diesem Zweck ein Schwein. Sobald der Mond und das Sternzeichen günstig standen wurde das Schwein geschlachtet. Nachdem die verschiedenen Teile des Tieres, von dem nichts verloren gehen sollte, vorbereitet waren, vermengte man das Schweinefleisch mit Rindfleisch, das man von einem Nachbarn kaufte und begann mit der Herstellung verschiedener Würste: rote Würste oder Würste erster Wahl, die ausschließlich roh und nach entsprechender Lagerung gegessen wurden, weiße Würste zweiter Wahl, die so  wohl roh als auch gekocht verwendet wurden, Schwartenwürste wurden gekocht und zuletzt Blutwürste, die man mit zerdrückten, gekochten Kartoffeln, Speck, Schweineblut, Salz und Gewürzen herstellte. Auch andere Teile des Schweins wurden verarbeitet, man machte rohe Schinken, Bauchspeck, eingelegten Salzspeck, Innereienfrikadellen, die mit Kohlblättern oder Schweinenetz umhüllt wurden. Das überschüssige Fleisch wurde in Salz gelegt, geräuchert oder gefroren und an einer Schnur im Heustadel aufbewahrt. Die Schweineschlachtung war ein sehr wichtiges gesellschaftliches Ereignis, an dem nicht nur alle Mitglieder der Familie sondern auch die Nachbarn, die Verwandten und mit dieser Arbeit vertraute Männer teilnahmen.
Der Frühling fiel mit der Abfahrt der Maurer und der kleinen Unternehmer zusammen, die in andere Länder zogen. Auch die Arbeit im Freien, die auf den Frauen, den jüngeren Kindern und jenen Männern lastete, die sich mit der Viehzucht befassten wurde wieder aufgenommen.
Man säuberte die Wiesen, Kartoffeln, Roggen und Gemüse wurden angebaut, die Wege und Mauerchen, die durch Schnee oder Lawinen beschädigt worden waren, wurden ausgebessert und die Bäche gereinigt, die zur Wiesenbewässerung dienten.
Im Mai übersiedelte man mit den Kühen zu den Häusern auf halber Berghöhe, z’berg, damit sie das im vorigen Sommer gesammelte Heu aufbrauchen und das zarte Frühlingsgras abweiden konnten bevor man auf die Alm stieg. Der Almauftrieb war damals wie heute am 15. Juni, dem Tag des Heiligen Bernhard. Die Herden blieben dann bis zu Sankt Michael am 29. September auf den Hochweiden.
Im Sommer mussten sich die Frauen um die Heuernte in der Ebene kümmern wo die Wiesen zweimal gemäht wurden, einmal im Juni und einmal im September, und um die Wiesen auf halber Berghöhe, die man nur im Juli mähte.. Die Arbeit war sehr schwer und man ließ sich fast immer von Mähern aus dem Dorf oder den nahe gelegenen Tälern helfen. War diese Arbeit beendet, knüpften sie ihr Mittagsmahl, einige Schnitten Polenta und ein Stück Käse, in ein Jutetuch und gingen auf die Gemeinschaftswiesen. Hier, auf den steilen und abgeschiedenen Hängen schnitten sie mit einer kleinen Sichel das üppige Gras.
Nach dem Abstieg von den hohen Almen blieben die Kühe einige Tage auf mittlerer Berghöhe wo sie den zweiten Graswuchs abweideten, dann ging es ins Tal wo man sie die dritte Mahd abgrasen ließ.
So kam der Herbst. Neue Beschäftigungen warteten. Die Kartoffeln, der Roggen, das Korn und die wenigen Früchte die in dieser Höhe reiften wie Birnen, Äpfel, Pflaumen, Nüsse und Haselnüsse mussten geerntet werden. Das trockene Laub für das Lager der Tiere wurde eingesammelt und die Wiesen gedüngt. Bei diesen Arbeiten half man sich gegenseitig und der Transport von Kuhmist erfolgte manchmal in den Vollmondnächten mit Gruppen von Mädchen und jungen Frauen mit Huckepacken.
Nach dem Allerheiligenfest und dem Totengedenktag ging man mit den Kühen wieder auf halbe Berghöhe herab um einen Teil des Heues aufzubrauchen das im Sommer abgemäht wurde; hier verblieb man bis Anfang Dezember. Das Fest der Heiligen Barbara beendete diese Periode.

DIE SPRACHE

Die Walser nahmen auf ihren Wanderungen Hausrat und Werkzeuge mit, aber auch ihre Lebensart, Religion, moralische Werte, Traditionen, Legenden und vor allem die Sprache. Heute ist die Sprache zusammen mit der Architektur das stärkste Merkmal, das unsere Volksgruppe charakterisiert.
Bemerkenswert ist jedenfalls die Tatsache, dass die Sprache der Walser von Issime ab dem 17. und bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Besonderheiten beibehielt, obwohl sie von Sprachen und Dialekten anderer Abstammung wie Französisch, Italienisch, der piemonteser und der franko provenzalischen Mundart umgeben war. Wir dürfen nicht vergessen, dass bis zum Jahr 1952 auf dem gleichen Gemeindegebiet zwei durch Kultur und Sprache unterschiedliche Volksgruppen zusammen lebten: die Walser deutscher Mundart und die Franko Provenzalen französischer Mundart. Außerdem war die französische Sprache bis zur Faschistenzeit die einzige Sprache in der alle offiziellen Dokumente verfasst wurden und die auch von der Kirche benutzt wurde.
Unter diesen Umständen war es nicht zu vermeiden, dass unsere Sprache, das Töitschu, Abänderungen und Erneuerungen erfuhr. So benutzen wir alte Wörter wie z’énni, die Stirne, z’ross, das Pferd, vergelzgott, danke, neben besonderen Wörtern wie dar chrig  schman, der Krieger, z’guvverschmuckhji, das kleine Juwel z’heersji, das Herzchen für den Verlobten oder die Verlobte. Worte lateinischer Abstammung ersetzen immer mehr deutsche Worte: d’buttullju ersetzt d’vleschu, die Flasche, d’kruatu anstatt da chéller, der Keller. Andere Wörter sind deutlicher italienischer oder französischer Abstammung, die sie sich auf Gegenstände beziehen die zur Zeit der Walseransiedlung in unserem Land noch nicht im täglichen Gebrauch waren; so finden wir d’furkulunu um die Gabel und z’automobili um den Wagen zu bezeichnen; es ist seltsam und gleichzeitig interessant festzustellen wie diese Worte mit dem deutschen Artikel ins Töitschu aufgenommen wurden.
Zu diesem Thema noch eine Bemerkung: es ist klar, dass die neu eingeführten Wörter auch von denen verstanden werden können, die den Dialekt von Issime überhaupt nicht kennen und daher erfand man Neologismen die nur von den Einwohnern von Issime verstanden werden, um die Einzigartigkeit der Sprache beizubehalten. So kann man für z’bissikletti auch fillir sagen, z’sigaretti wird die dorra, die trockene, z’kaffi, z’gschluckhta, das Getoastete. Die Kreativität und die Fantasie sind, neben einem gewissen Hang zum Komischen, im Gebrauch einiger Ausdrucksformen wieder zu finden ,die sich auf Taten oder besondere Situationen beziehen: goan hüten z’enkrasch hénnji, heißt wörtlich über  setzt »die Hühner des Pfarrers hüten gehen«, um das Gestorbensein zu bezeichnen, da sich der Friedhof neben dem Hof des Pfarrhauses befindet; goan ui d’ammissi in d’liert  schunu, wie die Ameisen auf dem Harz gehen, heißt langsam wie eine Schnecke gehen, cheen van chu chalb, von Kuh aufs Kalb zurückgehen, um einen Rückschritt zu bezeichnen.
Unsere Walser Sprachinsel wird von den Sprachforschern als »Minderheit zweiter Rangordnung« innerhalb der Minderheit erster Rangordnung und zwar der französischen Minderheit des Aostatals, eingestuft.
Die bodenständigen Einwohner benutzen das Töitschu im täglichen Gebrauch und in ihren zwischenpersönlichen Beziehungen, sie müssen jedoch auf eine andere Sprache übergehen sobald sie mit Menschen in Kontakt treten, die wenige Kilometer entfernt oder im Dorf leben, jedoch einer anderen Sprachgemeinschaft angehören. Es muss allerdings, wenn auch schweren Herzens gesagt werden, dass auch alteingesessene Einwohner von Issime die Walser Mundart nicht mehr benutzen. Entweder wurde ihnen die Sprache nicht mehr von den Eltern beigebracht oder es besteht einfach kein Interesse mehr dafür.
Im Jahr 1992 führte Professor Peter Zürrer aus Zürich eine Umfrage bei der gesamten ansässigen Bevölkerung ab dem sechsten Lebensalter  durch, um ein Gesamtbild der Sprachsituation von Issime zu erarbeiten. Es ergab sich, dass 80 % der Einwohner eine aktive Kenntnis der deutschen Mundart und die anderen mindestens eine passive Kenntnis hatten. In den Volksschulen hatten sieben von dreizehn Schülern, das heißt 53,8%, eine aktive Kenntnis des Dialektes.
Zur Zeit hat sich die Situation bezüglich der Einwohner die älter als zwanzig Jahre sind, nicht geändert, während man in der darunter liegenden Altersgruppe einen Rückgang der Anzahl der Sprechenden verzeichnen muss.
All dies ist vielen Faktoren zuzuschreiben, die das Gesellschaftsleben im allgemeinen beeinflussen: der Tourismus, die Mischehen, die absolute Vorherrschaft der Hauptsprache und nicht zuletzt die Schwierigkeit der Mundart in ihrer Morphologie, Satzstellung und Aussprache, der tägliche intensive Kontakt mit anderen Sprachen und Kulturen und der Unterricht in den Schulen des Aostatals von zwei offiziellen Sprachen, Italienisch und Französisch, denen in den Schulen der Walsergemeinschaft Deutsch hinzugefügt wird. Unter diesen Voraussetzungen ist die Einführung des Dialektes in der Schule nicht denkbar. Mit Beginn des schulischen Werdeganges verzichtet man auf das Erlernen und in der Folge auf den Gebrauch des Töitschu.
Es gibt keine schriftliche Tradition unserer Sprache, wenn man von den Ortsnamen absieht, die in den alten Dokumenten vorkommen und die immer große Probleme bei der Abschrift und beim Lesen brachten. Andere kleine Beispiele finden wir im Buch des Abtes aus Issime Jean Jacques Christillin, aus dem Jahr 1910 »Légendes et récits recueillis sur les bords du Lys«.
In den darauf folgenden Jahren wurden neue Niederschriftversuche durch einfache poetische Werke unternommen. Erst in den letzten Jahrzehnten haben Studien und Untersuchungen zur Kodifizierung der schriftlichen Sprache geführt, wobei die Rechtschreibung im Wörterbuch Italienisch Töitschu Italienisch festgehalten und die Grammatik und die Satzstellung von Renato Perinetto und Professor Peter Zürrer untersucht wurden.
Die geschriebene Sprache wird nur für kurze literarische Werke, Dialektübertragungen von Erzählungen, Stücken anderer Natur und Kirchenliedern benutzt. Eine besondere Beachtung erfuhren die Ortsnamen. Heute werden alle Ortsnamen Walser Ursprungs in Töitschu geschrieben wie auch einige Schilder von öffentlichen Lokalen und der Gemeinde. Die gesamte Walsergemeinschaft des Valle del Lys nimmt sich das Problem des Schutzes und der Beibehaltung unserer Besonderheiten sehr zu Herzen. Die Autonome Region des Aostatals, der wir seit dem Beginn unserer Geschichte angehören, achtete immer darauf, unsere Kultur nicht zu erdrücken und unsere Sprachen nicht zu unterdrücken.
So wurde mit dem Verfassungsgesetz Nr. 2 vom 23. September 1993 der Artikel 40bis genehmigt und in die Sonderstatuten des Aostatals aufgenommen. Dieser lautet: »Die mit Regionalgesetz anerkannten deutschsprachigen Bewohner der Gemeinden des Valle del Lys haben das Recht ihre sprachlichen und kulturellen Merkmale zu schützen. Den im ersten Absatz genannten Volksgruppen wird der Unterricht der deutschen Sprache in den Schulen durch zweckmäßige Anpassungen der Lehrpläne an die lokalen Gegebenheiten gewährleistet«.
Mit dem Regionalgesetz Nr. 47 vom 19. August 1998 wird unter anderem der Ständige Rat für den Schutz der Walser Sprache und Kultur eingeführt, dem eine Beobachtungs-, Beratungs- und Vorschlagsrolle zugeschrieben wird. Am 30. Juli 1967 hat die A.I.D.C.L.M. (Internationale Gesellschaft zum Schutz der gefährdeten Sprachen und Kulturen) in Folge einer in Issime abgehaltenen Tagung die Gesellschaft Augusta gegründet und ihren Sitz in unserem Dorf angesiedelt. Zweck dieser philanthropischen und apolitischen Gesellschaft ist der Schutz und die Wiedereinführung der lokalen Dialekte und Kulturen durch eine soziale Förderung und die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Volks- und Sprachminderheiten des Aostatals und der Täler des Alto Biellese, des Sesia, des Anzasco und des Toce. Sie veröffentlicht jedes Jahr eine angesehene Zeitschrift mit Forschungen, Berichten und Werken über Kultur und Sprache. Es werden Kulturreisen zu anderen Walsersiedlungen, Treffen mit der Bevölkerung veranstaltet um an die alten Traditionen zu erinnern, die Ursprungsbindungen zu festigen und so manchen aussterbenden Brauch wieder aufleben zu lassen; Deutschkurse werden angeboten und man fördert Forschungen und Studien.
Die Region Aostatal gründete am 26. November 1982, mit Notariatsurkunde Favre, das Walser Studien- und Kulturzentrum des Aostatals mit Sitz in Gressoney Saint Jean. Zweck des Walser Kulturzentrums ist die Förderung der Forschungsarbeiten, der Studien, sowie der Schutz und die Verbreitung der Walser Kultur, der Bräuche, der Traditionen und der Sprache.
In all diesen Jahren hat das Kulturzentrum viel unternommen, um die in den Statuten festgesetzten Ziele zu konkretisieren. Es wurden verschiedene Studien und Forschungsarbeiten herausgegeben: ein Buch über die Walser des Aostatals, die Wörterbücher Italienisch Titsch Italienisch und Italienisch Töitschu Italienisch, eine Liedersammlung, eine Gedichtsammlung, ein Kochbuch über die typischen Gerichte, die alten Chroniken und Legenden von Valentino Curta, die Sammlung der Texte des Universitätsprofessors Umberto Monterin und Dissertationen. Eine Sammlung der Sprichwörter und Redewendungen ist derzeit in Ausarbeitung. Das Kulturzentrum beschäftigt sich auch mit der Organisation von Tagungen, Ausstellungen und Studientreffen. Jedes Jahr wird in Zusammenarbeit mit einigen Walsergemeinschaften der Region Piemont ein Kalender mit Bildern einheimischer Künstler und Beschriftung in den verschiedenen Dialekten herausgegeben.
Dem Kulturzentrum wurde außerdem die Verwaltung der Walserbibliothek übertragen, die mit Regionalgesetz Nr. 28 vom 17. Juni 1992 gegründet wurde und ihren Sitz in Gressoney Saint Jean hat. Die Bibliothek sorgt für die Sammlung und Aufbewahrung von Büchern, Zeitschriften und anderen Informationsmaterialien über das Walser Volk.
Beiden Gesellschaften wird die Durchführung ihrer Projekte dank den Zuwendungen der Region und der großzügigen Geld- und Arbeitszuwendungen der vielen spendenfreudigen Mitbürger ermöglicht. Dadurch können der Bevölkerung, teilweise kostenlos, Veröffentlichungen von großem Interesse zur Verfügung gestellt werden. Die Gesellschaften arbeiten mit großem Erfolg an verschiedenen Initiativen wie zum Beispiel den Walsertreffen, die alle drei Jahre in einer anderen Örtlichkeit der verschiedenen Staaten stattfinden, in denen sich die Walser niederließen.
Auf dem Gebiet der Kultur war unsere Gemeinschaft immer sehr rege und konnte in der Vergangenheit, wie auch heute noch, ihre Kreativität, ihre Vielseitigkeit  und ihren Wunsch nach Geselligkeit durch kleine Theatergruppen, Chöre, Kirchenchöre, Folkloregruppen, der Gemeindebibliothek, dem Fremdenverkehrsverein und der Musikkapelle zum Ausdruck bringen. Die Musikkapelle wurde im Jahr 1906 gegründet und hat heute, nach einer Stillstandsperiode in den siebziger Jahren, ihre Tätigkeit mit neuer Begeisterung und großer Teilnahme, vor allem seitens der Jugend, wieder aufgenommen und zählt jetzt an die fünfzig Mitglieder.