Die Auswanderer vom Klosterland Benediktbeuern in die Markgrafschaft Verona im 11. Jahrhundert

Studien zur Ortsgeschichtsforschung  im Landkreis Starnberg

Band III                               

Historisches von Tutzing aus alten und neueren Zeiten

 

Die Auswanderer vom Klosterland  Benediktbeuern in die Markgrafschaft Verona im 11. Jahrhundert

Ortsgeschichtlicher Arbeitskreis Tutzing – Manfred Grimm

Textauszug zusammengestellt von Luis Thomas Prader

 

Grundlage zu diesem Aufsatz ist die Urkunde aus Benediktbeuern, die um das Jahr 1055 zu datieren ist. Das Original der Urkunde wird in der Bayrischen Staatsbibliothek München aufbewahrt .

Benediktbeuern-Urkunde von ca. 1055
Benediktbeuern-Urkunde von ca. 1055

Zur Geschichte

Im 11. Jh. hatte Bayern seine größte Ausdehnung. Zum Herzogtum Bayern gehörten im Süden das  HZM. Kärnten und die MGFT. Verona. Das Kernland des Klosterlandes bzw. Klostergerichtes Benediktbeuern war relativ groß und existierte bis zur Säkularisation 1803.

Das alte Stammesherzogtum  Bayern Geschichtsatlas, Verlag: Cornelsen-Schulverlage
Das alte Stammesherzogtum Bayern Geschichtsatlas, Verlag: Cornelsen-Schulverlage

Das Kloster selbst  ist sehr wahrscheinlich bereits um 725 / 728 von Karl Martell als weltlicher Stützpunkt und als Wach- und Kontrollstation im fränkischen Reichsinteresse am Eingang der Bergwelt in einer strategisch wichtigen Gegend gegründet worden.

Im Jahr 1050 stand Abt Gotahelm dem Konvent im Kloster vor. Unter der Leitung von Gotahelm wurde der Mönch Engilbero, der ebenfalls aus dem Konvent Benediktbeuern stammte, zum Abt des Klosters St. Maria in Organo bei Verona ernannt.

Dieses Kloster hatte seinen Ursprung im 6 – 8 Jh. während der Ostgoten- und Lombarden-Herrschaft und spielte Jahrhunderte lang als Benediktinerkloster eine wesentliche Rolle. Es war sehr reich und hatte viele Besitztümer. 1031 wurde das Kloster St.Maria in Organo von dem Bruderkloster Benediktbeuern reformiert.

1036 wurde Walter von Ulm Bischof von Verona und 1053 folgte der Mönch Engilbero aus dem Konvent als Abt des Kloster St. Maria. Unter seiner Amtszeit kamen die Auswanderer aus Bayern in sein Land.                

1117 erlebte Oberitalien ein schweres Erdbeben, wodurch das Kloster zerstört wurde. Anschließend erbaute man es wieder neu. Sehr wahrscheinlich waren die  Stadtherren von Verona, also die della Scala und später die Visconti auch die Vögte des Klosters. 1444 wurde das Kloster von den Olivetanern, einem Zweigorden des Benediktiner Ordens, übernommen. Das Kloster hatte nun Bestand bis in napoleonische Zeiten. Die Soldaten Napoleons verschleppten und zerstörten die Bauten des Klosters ebenso wie Einrichtung und Kunstwerke unwiederbringlich! Die wertvollen Altartafeln von Mantegna haben sich in der „Pinacoteca di Brera in Mailand erhalten.

Zur Auswanderung

In der  Urkunde von ca. 1053 /55 ist nicht aufgeführt, warum die Auswanderer ihre Heimat in Oberbayern verlassen haben! Ein Krieg ist für diese Zeit  im Raum des Klosterlandes nicht belegt. Aber in der Zeit von 1048 bis 1053 soll im Klostergebiet eine Hungersnot geherrscht haben. Vermutlich war die Hungersnot auch Anlass, dass ein Teil der Untertanen aus dem Klosterland nach Italien ausgewandert sind. Die Auswanderer sind in einer Urkunde mit Namen und Herkunftsort angeführt.

Zudem liegen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft Baumringbestimmungen vor, die einen Rückschluss auf eine Klimaverschlechterung exakt zu dieser Zeit zulassen! (Dendrochronologie). Nach den Untersuchungen der Baumringe von Eichen aus dem Hohen Mittelalter, in unserem Fall in den Jahren von 1000 bis 1100 ergibt sich eine Klimakurve über die Jahrzehnte. Gemäß dieser Urkunde könnten die Klimaabkühlung und die Hungerszeit von 1048 bis 1053 übereinstimmen.

Die Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass es diese Hungersnot klimatisch bedingt wirklich gab und  dass das Kloster Benediktbeuern  einen Teil seiner Untertanen  tatsächlich aus diesem Grund umsiedelte.

Der Mönch Gottschalk wurde wegen besagter Hungersnot im Benediktbeurer Klosterland zusammen mit Brüdern zu dem damaligen Bruderkloster St. Maria nach Organo bei Verona geschickt, um Lebensmittel bei Abt Engilbero zu kaufen. Auf der Rückreise brachte er die Hirnschale der in Organo verwahrten Märtyrerreliquien der hl. Anastasia auf abenteuerliche Weise mit nach Benediktbeuern. 

Mit den Mönchen zog aber auch eine Anzahl von Kolonisten nach Süden in das Gebiet der „Monti Lessini“ und fanden als Kolonisten einen neuen Lebensraum.

Orte, aus denen Benediktbeurer ausgewandert sind

Das Gebiet der „Monti Lessini, liegt ca. 30 km nördlich von Verona und gehörte wahrscheinlich in Teilen dem Kloster St. Maria in Organo. In der Zeit von ca. 1050 bis ca. 1339 wurde dieser Landstrich von diesen Neusiedlern kontinuierlich urbar gemacht. Die Einwanderer kamen anfangs eben aus dem Klosterland von Benediktbeuern, spätere Zuwanderer sind in ihrer Herkunft nicht mehr belegt.

In der Benediktbeurer Urkunde sind keinerlei Hinweise auf die Hintergründe der Auswanderung festgehalten. Wie bereits erwähnt, sind die Auswanderer jedoch namentlich in der Urkunde aufgeführt, wobei lediglich die Vornamen und der der Herkunftsort angegeben waren. So ist beispielsweise aus Laingruben (später Benediktbeuern) ein „Perolf mit Frau und 7 Kindern“ angeführt, denn vor  knapp tausend Jahren waren als Namen nur Vornamen gebräuchlich, die Namen der Frauen und Kinder wurden nicht aufgeführt. Nach der Namensliste und der zum Teil bekannten Kinderzahl dürften es ca. 150 Personen gewesen sein, die das Klosterland Benediktbeuern verlassen haben.

Über die Reise der Auswanderer von Benediktbeuern nach Verona bzw. in das Gebiet der Monti Lessini gibt es keine Berichte oder Dokumentationen. Das Gebiet der 7 und 13 Gemeinden und die Ebene zwischen Etsch und Brenta wurden zwischen 1050 und 1330 mit südbaierischen Untertanen, insbesondere aus Oberbayern und Westtirol besiedelt.

 

Der Weg führte vermutlich von Benediktbeuern über Kochel  die Kesselbergstraße hoch und am Walchensee entlang bis Wallgau. Die Kesselbergstraße war im 11. Jh. noch ein Saumpfad, galt aber schon immer als transalpine Verbindung nach Tirol und Italien. Der Saumpfad konnte nur mit Esel und Maultieren oder  auch Pferden begangen werden. Die Straße wurde von den Landesherren 1492 ausgebaut, damit sie auch mit Gespannen befahren werden konnte. Weiter geht es bis Mittenwald. Die Route setzte sich auf der damaligen „Via Raetia“ fort,  eine im 2. Jh. von Septiminus Severus gebauten Straße. . Diese Straße führt über Innsbruck und Wilten und den Brenner hoch und dann talabwärts durch Sterzing, Brixen, Klausen, Bozen, Trient und zum Ziel Verona.

Das Gebiet um die „Monti Lessini“ wurde in den Jahren ab 1050 bis ca.1330 von Kolonisten aus dem deutschsprachigen Raum besiedelt. So entstanden die Dreizehn Gemeinden (Tredici Comuni) in der Provinz Verona, Region Venetien und später die Sieben Gemeinden (Sette Comuni) in der Provinz Vicenza, Region Venetien.

Sowohl die Dreizehn als auch die Sieben Gemeinden unterstanden politisch den Herren der Stadtrepublik Verona, die vom 11. bis 14.Jh. dieses Gebiet beherrschten. Die  Adelsfamilie der „Scaliger“ hatte das Zepter von 1260 bis 1387 in der Hand. Anschließend wurden sie von der Familie „Visconti“ entmachtet, die ab 1388 die Regierungsgewalt ausübte! In einer Urkunde vom 17.07.1388 bestätigt der Sohn von Galeazzo Visconti die gültige Steuerfreiheit der sieben Gemeinden.

Privilegien der Zimbern

Die Zimbern hatten als deutschsprachige Minderheit erhebliche Privilegien und Rechte erhalten. Die Stadtherren della Scala hatten diese Rechte in verschiedenen Urkunden bestätigt:

Privilegien der Zimbern

 

All diese Rechte und Privilegien überdauerten die Zeit und wurden erst 1809 von Napoleon aufgehoben. Erst seit dieser Zeit haben die Zimbern ihre Autonomie verloren.

Der Name "Zimbern"

Die im Gebiet der Monti Lessini lebenden Deutschen bezeichnete man in Urkunden „Todeschi“ (die Deutschen). Zudem nannte man die Einwohner abwechselnd „Teutonici“ oder „Alemanni“.

Die älteste Theorie über die deutschsprachige Bevölkerung ist in der frühen Neuzeit entstanden und da wurde vermutet, dass es sich um Reste der Zimbrischen Bevölkerung handeln muss, welche im Jahr 101 v. Chr. vom römischen Konsul Marius bei Vercelli vernichtend geschlagen wurde. Die ursprüngliche Heimat der Zimbern wäre  Jütland, die Nordspitze vom heutigen Dänemark.

Man vertrat auch die Ansicht, dass es sich um die Nachkommen der einst in Italien ansässigen Goten und Langobarden handeln könnte.

Joh. Andreas Schmeller (1785 – 1852) konnte all diesen Spekulationen ein Ende setzen! Auf Grund des Wortschatzes der Bewohner in Oberitalien erkannte man, dass es sich um die Sprache der Altbayern handelt, welche vor 1000 Jahren in den Stammländern Bayern und Österreich gesprochen wurde.

Die Sprachforschung wäre ein weites Feld, worauf der Autor jedoch nicht weiter eingehen möchte. Über die Zimbrische Sprache gibt es eine umfangreiche Literaturliste in Deutsch und Italienisch.

Die Zimbern heute

Die deutschsprachigen Gebiete sind im Laufe der Zeit immer mehr italienisiert worden, was das Aussterben der deutschen Sprache zur Folge hatte. Unter der Herrschaft der Faschisten war das Sprechen der Zimbrischen Sprache verboten.

Erst durch Kulturvereine und einzelne Personen,  zum Beispiel durch Luigi Nicolussi-Castellan aus dem Dorf Lusern (Luserna), wird versucht dem Aussterben der Zimbrischen Sprache Einhalt zu gebieten.

In der Zwischenzeit werden im italienischen Fernsehen  Sendungen in Zimbrisch gesendet, in den Kindergärten und in Schulen wird die junge Generation auch in Zimbrisch unterrichtet.         

Die Landflucht hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Die Dörfer haben wenige junge Bewohner, weil es an Arbeitsplätzen auf dem Land mangelt. Die Gemeinden überaltern und viele Häuser stehen leer und sind dem Verfall preisgegeben. Wie schon erwähnt wird versucht durch den Tourismus die Landschaft zu beleben. Die Landschaft um die Monti Lessini ist im Sommer wie auch im Winter sehr schön und reizvoll, eine Reise lohnt sich immer!

Tutzing 18.08.2015

Manfred Grimm

Anmerkung Prader:

Die Zukunft der Zimbern wird mit diesen Autoaufklebern eindrucksvoll dargestellt.